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Was macht „New Work“ so schwer?


Change-Schriftzug
Bildquelle: Ross Findon, 303091, Unsplash

Kommentar zu „Die vier Führungsprinzipen des Trivago-Gründers“


Die Plattform für Hotelsuchen „trivago“ ist derzeit das einzige deutsche Startup, das auch an der US-Börse erfolgreich ist. In der Ausgabe 29 der Wirtschaftswoche vom 14.07.2017 wurden die Führungsprinzipen des trivago-Gründers und aktuellen CEO, Rolf Schrömgens, vorgestellt und näher betrachtet. In seinem Artikel benennt Autor Sven Prange 4 Prinzipen:

  • Hierarchien abschaffen

  • Führung und Fachwissen trennen

  • Nicht jeder gute Mitarbeiter ist auch gut für das Unternehmen

  • Vermeide falsche Kompromisse

Der Artikel liest sich wie ein Fallbeispiel moderner, innovativer Unternehmensführung. Wer sich mit Themen wie „New work“, „Arbeit 4.0“ u.ä. beschäftigt hat, wird besonders über die ersten beiden Prinzipien selbst schon gestolpert sein. Auch der Autor zitiert in seinem Artikel an einigen Stellen Reinhard Sprenger, der sich in einigen Publikationen mit zukunftsorientierten Ansätzen der Führung und Zusammenarbeit beschäftigt hat. Auf den ersten Blick ein Paradebeispiel, das ich in meine „Beispiele, dass es doch funktionieren kann“ – Schublade packe – zu einigen anderen Unternehmen oder Initiativen, die beispielsweise bereits in den „Augenhöhe“ – Filmen vorgestellt wurden.


Und dann stolpere ich über ein Zitat, das sich unter Prinzip 3: „Nicht jeder Mitarbeiter ist auch gut für das Unternehmen“ einordnen lässt. So schreibt der Autor, dass trivago besonders gerne Menschen einstelle, die zuvor nicht lange in konventionellen Konzernstrukturen gearbeitet haben und zitiert Herrn Schrömgens mit den Worten: „Wer zwei Jahre in einem klassisch geführten Unternehmen war, hat diese Muster, die viel eher auf taktische denn auf inhaltliche Aspekte schauen, so übernommen, dass man das kaum noch raus bekommt“.


Das bringt mich zum Nachdenken: Ist das so? Und wenn ja - warum?

Die Prinzipien eins und zwei bedeuten am Beispiel trivago unter anderem, dass Führung vor allem Motivation bedeutet, Menschen mit Führungsverantwortung auf Augenhöhe mit inhaltlichen Spezialisten stehen, es keine Teamleiter gibt, sondern Aufgaben in flexiblen Projektstrukturen bearbeitet werden und auch Entlohnung und Boni nach alternativen Kriterien bemessen werden.Warum stellen diese anderen Formen der Arbeit vor eine solche Umstellung und Herausforderung? (Sozial-)psychologisch betrachtet, zeigen sich in dieser Frage mehrere „Baustellen“:


1. „Das Prinzip: Wenn ich nicht weiß, wie ich mich verhalten soll, verhalte ich mich so, wie ich es einmal gelernt habe“.

Sowohl beim Berufseinstieg als auch beim Eintritt in ein neues Unternehmen liegt eine zentrale Herausforderung besonders darin, die ungeschriebenen Gesetze, Werte und Normen herauszufinden und sich dementsprechend zu verhalten, um beruflich erfolgreich zu sein. Wechselt man dann das Unternehmen, stellt sich diese Herausforderung erneut, allerdings bringt man natürlich seine bisherigen Erfahrungen mit und es ist sehr wahrscheinlich, dass bisher erfolgversprechende Strategien beibehalten werden. Dies bezieht sich auf die eigene Art der Führung, der Arbeitsorganisation, der eigenen (unternehmenspolitischen) Positionierung usw. Viele implizite Annahmen darüber, wie man erfolgreich seinen Job ausführen kann, werden also bei einem Wechsel in ein solches Unternehmen mit „New-Work-Philosophie“, mit anderen Werten und Prinzipen, radikal in Frage gestellt.


2. Ein erforderliches hohes Maß an Kommunikations- und Konfliktfähigkeit.

Wenn Führung nicht mehr über Anweisungen geschieht, wenn die horizontale Kommunikation fast wichtiger wird als die vertikale, dann wird mehr Abstimmung, Verhandlung, kurz: mehr Kommunikation notwendig. Ein sich Zurückziehen auf die eigenen Aufgaben, ein Beschränken der Abstimmung auf ein minimal Nötigstes würde schlicht nicht funktionieren. Dass in Projektteams und Initiativen unterschiedliche Meinungen vorherrschen und auch mal um das beste Ergebnis gerungen, vielleicht sogar gestritten werden muss, lässt sich kaum verhindern und ist erfahrungsgemäß anstrengend für alle Beteiligten, aber ein echter Mehrwert für das Ergebnis. Was es also braucht ist die Bereitschaft, sich aufeinander einzulassen und mit einander in Kontakt zu treten ebenso wie die kommunikativen Fähigkeiten, sich mit seinen Standpunkten einzubringen, die Impulse der anderen aufzunehmen und Konflikte und Verhandlungssituationen konstruktiv zu lösen. Dieser Anspruch ist nicht neu und wird auch von vielen klassisch geführten Unternehmen für sich beansprucht, jedoch in der Praxis durch bspw. fehlende Kompetenzen oder einen hohen Konformitätsdruck ad absurdum geführt.


3. Notwendige Bereitschaft zu eigenverantwortlichem Handeln und Verantwortungs-übernahme.

Schrömgens Prinzip der „organisierten Unorganisiertheit“ funktioniert nur mit MitarbeiterInnen, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen und sich aktiv einzubringen. Das bedeutet zum einen eine gewisse Freiheit in der Arbeitsgestaltung und Aufgabenübernahme. Das bedeutet jedoch gleichzeitig, dass ein „sich verstecken hinter der Führungskraft“ nicht mehr möglich ist. Einfach gesagt: Sich zurückzuziehen, seinen Job zu machen und auf den Chef zu schimpfen wird nahezu unmöglich. Auch dies stellt einen Unterschied zu einigen klassisch geführten Unternehmen dar, in denen zwar Vertrauen und Eigenverantwortung vermeintlich groß geschrieben werden, in denen jedoch im Zweifel doch die Kontrolle bei dem liegt, der am Ende für das Ergebnis „verhaftet“ wird. Die Erfahrung, Verantwortung für sich, sein Handeln und seine Ergebnisse (oder die des Teams, in das der eigene Beitrag eingeflossen ist) zu übernehmen, kann für einige MitarbeiterInnen eine Umgewöhnung darstellen.


4. Neufindung der beruflichen Identität

Eine besondere Herausforderung stellt sich vermutlich vor allem für die Menschen, die zuvor in einem „herkömmlichen“ Unternehmen als Führungskraft gearbeitet haben und die nun mit dem trivago-Universum oder einer ähnlichen Umwelt konfrontiert werden. Wie motiviere ich Menschen, wenn ich beispielsweise als Leiter eines Projektteams ausschließlich durch meine Person und Kompetenz überzeugen, aber nicht mehr durch Anweisung, Befehl und Druck führen kann? Wenn nicht mehr ich als „Chef“ der bin, der – um eine der weit verbreiteten Seemanns-Metaphern zu verwenden – das Steuer in der Hand hat und als Kapitän seine Mannschaft zum Ziel dirigiert? Es geht um die Frage: Wer bin ich (beruflich) eigentlich, wenn ich kein „Chef“ im (hierarchischen) eigentlichen Sinne mehr bin? Möglicherweise ist sich diese Frage zu stellen, schon ein erster Schritt.

Die aktuell viel diskutierten „neuen“ Formen der Zusammenarbeit bieten zweifelsohne echte Chancen: Für Unternehmen in Form von Innovation, Erfolg und nicht zuletzt Arbeitgeberattraktivität. Und für den einzelnen Mitarbeiter bspw. in Form von Entfaltungsmöglichkeit und Selbstwirksamkeit. Deutlich wird aber auch, wie groß der Unterschied zur bisherigen Arbeitswelt ist und wie sehr viele Menschen von diesen Strukturen geprägt sind. Diese Herausforderungen können nicht allein auf Struktur- oder Organisationsebene bewältigt werden. Ist also alle Hoffnung vergeblich? Ist der Weg von trivago, ‚möglichst unverdorbene’ Mitarbeiter einzustellen, der einzig gangbare? Man kann zunächst z.B. die Frage aufwerfen, ob nicht im Sinne eines Selektionsprozesses vermutlich Unternehmen wie trivago eher die Menschen anziehen, die in herkömmlichen Konzernstrukturen nicht wirklich glücklich geworden sind und diese Unternehmen gleichzeitig wenig reizvoll für Menschen mit einem hohen Bedürfnis nach Macht und Kontrolle sind. Zahlreiche Beispiele zeigen aber auch, wie es Unternehmen gelungen ist, ihren (Achtung: Seemannsmetapher!) Kurs radikal zu ändern. So ist beispielsweise der Gründer der upstalsboom-Hotels Bodo Janssen aktuell medial sehr zu diesem Thema präsent.


Was es jedoch braucht, ist bei jedem Einzelnen die Bereitschaft, die Fähigkeit, vor allem aber der Raum, sich und sein eigenes Verhalten, seine „Muster“, die sich in den vergangenen Jahren etabliert haben, zu hinterfragen, zu reflektieren und weiter zu entwickeln. Dafür gilt es, die Menschen in den Unternehmen zu gewinnen und ihnen die Möglichkeiten dazu zu geben und die notwendigen „Räume“ zu schaffen. Rein über ein Umstrukturieren hin zu mehr „Organisierter Unorganisiertheit“, wird es nicht funktionieren.



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